Frühlingstage im Tessin
 

 

Alle Jahre wieder führt mich meine viertägige Frühlingsfahrt in das Tessin, den sonnendurchfluteten südlichsten Kanton der Schweiz. Früh am Morgen treffen meine Gäste aus Salzburg und Tirol an den verschiedenen Einstiegstellen ein; nach einer erfrischenden Kaffeepause im Rasthaus Trofana im Oberinntal geht es in unserem Luxusbus weiterhin westwärts. Die Fahrt durch den Arlbergtunnel wird zur Freude, von ihm merken die Gäste überhaupt nichts. Ich zeige nämlich gleichsam als Einstimmung auf die kommenden Erlebnisse einen Film über den Langensee. Rasch vergeht die Zeit, nach kurzer Fahrt durch das Fürstentum Liechtenstein geht es in der Eidgenossenschaft Richtung Süden, den Rhein entlang.
 


 

Die erste Pause im Kanton Graubünden ist einem Wunderwerk der Natur gewidmet. Vom Parkplatz in der Via Mala gleitet unser Blick in die vom Hinterrhein in Jahrtausenden durch das Gestein gefressene Schlucht. Einerseits blicken wir die Felswände hinauf, andererseits aber hinab zum Grund, wo das kleine Rinnsal kaum ahnen läßt, daß es bei Hochwasser gefährlich anschwellen kann, wie die Marken an dem in die Tiefe führenden Weg bezeugen. Natürlich plaudern wir nicht nur über die Natur und ihre Gewalten sondern auch über die in dieser Gegend wohnenden Menschen, denen der Schweizer Schriftsteller John Knittel ein literarisches Denkmal gesetzt hat.
 


 

Doch wir müssen uns trennen von diesem Naturerlebnis, wartet doch schon einige Kilometer weiter im Inneren der Kirche ‚St. Martin’ in Zillis ein in der Welt einmaliges Werk romanischer Kunst auf uns. Es gilt, die 153 Felder der in Temperatechnik bemalten Kassettendecke mit den bereitliegenden und überdies vergrößernden Spiegeln ‚herunterzuholen’. Da jeder Gast von mir die genaue Beschreibung aller Bildfelder erhält, bleibt ihm die Wahl der genauer in Augenschein zu nehmenden Motive überlassen. Natürlich erkläre ich den kunsthistorischen und religionsgeschichtlichen Hintergrund, wobei wir uns in Gedankenwelt und Darstellungsweise des 12. Jahrhunderts zurückversetzen müssen, wie etwa beim Bethlehemitischen Kindermord.
 


 

Während ich mit den Gästen in der Kirche weile, hat unser braver Fahrer Alex alle Hände voll zu tun. Er spielt nämlich Küchenchef, braut köstlich duftenden Kaffee und serviert diesen dann mit frischen Topfentaschen. Diese Aufmerksamkeit des Veranstalters wird von allen Gästen dankbar angenommen.

Weiter geht die Fahrt, wobei diese nördlich und südlich des San-Bernardino-Tunnels landschaftlich gleich interessant ist. Der Steilabfall im Misoxer Tal und der Blick auf die auf einem Felsklotz thronende Ruine des ‚Castello di Mesocco’, der alten Stammburg der Grafen Sax von Misox, sind aber fast überwältigend. Für mich bietet sich Gelegenheit zum Erklären der vier offiziellen Landessprachen der Schweiz und des Umstandes, daß nicht nur im Tessin sondern auch in dem zu Graubünden gehörenden Misoxer Tal italienisch gesprochen wird. Daher auch der italienische Name dieser Burg.
 


 

Nach der gemütlichen Mittagspause in Bellinzona, der Hauptstadt des Tessin, ist es nicht mehr weit zum Luganer See, wo schon die ganze Schweiz auf uns wartet. Wie das? In Melide sind auf einem Freigelände die malerischsten Punkte der Schweiz, ihre Städte und Dörfer, ihre Denkmäler und Verkehrsmittel, aber auch ihre Landschaft in 25-facher Verkleinerung aufgebaut. Im See, an dessen Rand Schloß Chillon thront, schwimmen Fische, auf dem Wasser tummeln sich Enten und im ganzen Gelände fahren auf einer Gleislänge von 3.56o m Schweizer Eisenbahnen. In beherrschender Lage das Bundeshaus Bern; das Telldenkmal in Altdorf und der Schiefe Turm in St. Moritz etwa sind genauso leicht zu erreichen wie das Olympische Museum in Lausanne und die Kapellbrücke in Luzern. Dazwischen wieder Berge mit Gondel- und Luftseilbahnen, weiters Autofähren und typische Bauernhöfe. Ein ganzes Land kann in einer guten Stunde durchwandert und in seiner schmucken Vielfalt bewundert werden. Meine Gäste erhalten Anregungen für viele weitere Schweiz-Reisen.
 


 

Schwer nur trennen wir uns von dieser prachtvollen Anlage und fahren dem Seeufer entlang nach Paradiso, in diesen so herrlich gelegenen Vorort von Lugano. Im Hotel, das mir von Reisen für bereits drei österreichische Veranstalter bestens bekannt ist, werden wir freundlich empfangen und vorzüglich untergebracht; nach dem Abendessen treffen sich die meisten Gäste noch am Seeufer zu einem mehr oder weniger langen Spaziergang.

Am Morgen des zweiten Reisetages müssen wir früh aufbrechen, steht die doch relativ lange Fahrt nach Stresa am italienischen Westufer des Langensees – so bezeichnen die Deutschschweizer in ihren Atlanten den Lago Maggiore – bevor. Bei herrlichem Sonnenschein können wir diese abwechslungsreiche Fahrt so richtig genießen. In Stresa werden wir bereits von ‚unserem’ Kapitän erwartet, aufgrund der Größe der Gruppe mit zwei Schiffen.
 


 

Das erste Ziel der lustigen Schiffahrt ist die Isola Bella, wo wir zu einer Führung durch das Schloß der Grafen Borromeo erwartet werden. Dann aber schwärmen wir aus und erforschen den Barockgarten mit seiner wunderbaren Blütenpracht. Wie immer stoßen wir auf die weißen Pfauen, doch jetzt folgt die erste Enttäuschung dieser Reise. Die Pfauenmännchen stolzieren zwar herum, schlagen aber keine Räder. Schade! Es ist das erste Mal, daß mir persönlich dieses Erlebnis versagt bleibt. Aber der Gesamteindruck der Barockanlage ist trotzdem überwältigend.
 


 

Zur vereinbarten Zeit werden wir zur Weiterfahrt auf die nahe gelegene nördliche Insel, die Fischerinsel, abgeholt. Im ‚Ristorante Imbarcadero’ – mit seit Jahren bekannt – werden wir mit vorzüglichen Fischgerichten und ausgezeichnetem Wein verwöhnt. Von der Veranda im ersten Stockwerk schweift der Blick über den See, soferne er nicht am kulinarischen Genuß haftet.
 


 

Schnell verrinnt die Zeit, unser Kapitän holt uns zur dritten und letzten Schiffahrt ab, um uns wieder nach Stresa überzusetzen. Die kurze Fahrt auf der weiter nach Süden führenden Küstenstraße verschafft dann den meisten Gästen ein in dieser Art völlig unerwartetes kunst- und religonsgeschichtliches Erlebnis. In Arona steht nämlich die wahrscheinlich höchste Statue Europas, den hl. Karl Borromeus darstellend. Und jetzt folgt die zweite und allerletzte Enttäuschung auf dieser Reise. Aufgrund des großen Andranges – es ist ja Sonntag – ist die Wartezeit zum Hinaufklettern im Inneren der Statue zu lange. So ist es nicht möglich, nach dem steilen Aufstieg im Inneren dann aus den Öffnungen im Kopf herauszublicken und die Aussicht über den See zu genießen. Aber auch von unten können die gewaltigen Ausmaße der Statue so richtig erkannt werden.
 


 

Rund um den Langensee folgt dann die letzte Busfahrt des Tages, deren Höhepunkt sicherlich der – wenn auch nur kurze – Blick auf den Comer See mit der Stadt Como ist. Auf Damm und Brücke überqueren wir den Luganer See und sind bald schon bei unserem Hotel.
 


 

Für den dritten Reisetag gebe ich meinen Gästen Tips für Unternehmungen, die den jeweiligen Interessen angepaßt sind. So fahren etliche Gäste mit der Drahtseilbahn auf den Monte San Salvatore hinauf und genießen vom allerhöchsten Punkt, nämlich der Aussichtsterrasse über dem Kirchenschiff, den phantastischen Blick auf den Luganer See und die Stadt Lugano. Andere Gäste fahren mit dem Linienschiff zum Zollmuseum in Cantine di Gandria und unterbrechen auf der Rückfahrt in Gandria, diesem sich romantisch an den Berghang schmiegenden Dörfchen, die Rundreise.
 


 

Mit zehn Gästen fahre ich mit dem Linienschiff von Paradiso zum südlichsten Punkt des Luganer Sees, nach Capolago. Dort können wir direkt in die schmucken Doppeltriebwagen der 189o eröffneten und 1982 elektrifizierten Zahnradbahn (Spurweite 8oo mm!) auf den Monte Generoso umsteigen. Zuvor aber informieren wir uns im Freigelände über die vier hauptsächlich verwendeten Zahnstangensysteme.
 


 

Nach einer Fahrzeit von 4o Minuten erreichen wir die 17o4 m hoch gelegene Bergstation Vetta. Bevor wir zum Gipfel emporsteigen, beobachten wir noch den Start von zwei Gleitschirmsportlern und ihre im Aufwind vollzogenen Flugmanöver. Während vom Gipfel aus bei völlig klarem Wetter ein prachtvoller Rundblick auf das oberitalienische Seengebiet, die lombardische Tiefebene bis zum Apennin und auf die Alpenkette vom Finsteraarhorn über die Jungfrau und das Matterhorn bis hin zum Monte-Rosa-Massiv genossen werden kann, müssen wir aufgrund des leicht dunstigen Wetters leider mit einer etwas eingeschränkten Fernsicht vorlieb nehmen. Was wir aber sehen können, ist so unbeschreiblich schön, daß wir lange auf dem Gipfel verharren, um alles in uns aufzunehmen.
 


 

So wie auf der Bergfahrt bieten sich auch während der Talfahrt mit einer Höchstgeschwindigkeit von 14 km/h immer wieder bezaubernde Ausblicke, die wir so richtig genießen. Von Capolago aus haben wir dann rasch direkten Anschluß mit den SBB nach Lugano, wo mit einem Stadtbummel der erlebnisreiche Ausflug abgeschlossen wird. Vor dem Abendessen lassen es sich einige Gäste nicht nehmen, in der Hotelanlage Freibad oder Hallenbad aufzusuchen. Abends dann noch der schon übliche Gang zum Seeufer.
 


 

So ungewöhnlich es klingt, aber am Rückreisetag können wir alle etwas länger schlafen. Es ist 1. Mai, auch in der Schweiz und in Italien Feiertag. Da beginnt das Leben im nahen Como, wo wir den Vormittag verbringen wollen, etwas später. Rasch haben wir auf der Autobahn Como erreicht, die letzte Besichtigung der Reise beginnt. Wir spazieren die Stadtmauer entlang, wo gerade die Marktstände öffnen, zur Torre di Porta Vittoria. Durch das Stadttor hinein, an prächtigen Stadtpalästen und Bürgerhäusern vorbei zur Kirche San Fedele, deren dunkles fast mystisches Innere sehr beeindruckt. Durch enge Gassen dann zum Dom, in dem vor allem die Gobelins hervorstechen. Der Domplatz mit Dom, Broletto und Stadtturm ist natürlich der geeignete Ort, um sich auch in kleiner Gruppe für ein Bild zu versammeln.
 


 

Ein Bummel noch zur Schiffsanlegestelle beschließt den Aufenthalt in Como, wobei der Rückweg zum Bus wieder an den Marktständen vorbeiführt. Manch ein Gast kann nicht widerstehen, noch ein letztes Andenken zu kaufen. Die Fahrt entlang des Ostufers des Comer Sees bietet zwischen Tunnels und Galerien immer wieder grandiose Ausblicke über das Wasser auf das andere Ufer.
 


 

Auch in Colico, fast am Nordende des Comer Sees, ist gerade Markt. Noch ein letztes Bild am Wasser und dann vereint uns noch ein gemeinsames Mittagessen in einem mir seit Jahren bekannten vorzüglichen Lokal. Sein Name ‚Blue River’ mag zwar ‚modern’ klingen, die freundliche Bedienung Karin und vor allem die vorzüglichen Fischgerichte lassen uns noch so richtig genießen.
 


 

Um den Malojapaß, mit 1.815 m über dem Meer der höchste Punkt unserer Reise, zu erreichen, muß unser Alex unzählige Serpentinen bewältigen. Ein kurzer Aufenthalt ist natürlich angesagt. Dann aber der lange Weg durch das Engadin mit seinen landschaftlichen Schönheiten. Wir fahren den Inn entlang und verfolgen, wie der ursprünglich ganz kleine Bach, der den Silser See, den Silvaplaner See und den St. Moritzer See durchfließt, zusehends an Größe gewinnt. Nach den italienischen Ortsbezeichnungen und Aufschriften im Tessin lesen wir nunmehr in Graubünden wieder deutsche und auch rätoromanische Namen. Eine weitere Änderung hat es noch in der Weise gegeben, daß im Unterengadin nach den vielen Sonnentagen ein für die Natur dringend notwendiger Platzregen herabprasselt.
 


 

Stellvertretend für alle begeisterten Gäste dieser Frühlingsreise an das Tessin halte ich noch einen Stammgast aus Innsbruck mit unserem Fahrer Alex im Bild fest, bevor wir den letzten gemeinsamen Imbiß im Rasthaus Trofana einnehmen. In Innsbruck heiß es dann Abschied nehmen. Die Erinnerung an schöne Tage im Süden aber bleibt, unvergessen ist der Ausflug auf die Borromäischen Inseln.