Erlebnisse in Südengland und Cornwall

 

Erst Ende Juni von der ‚Insel’ zurück führt mich also ein paar Tage später schon wieder eine Reise nach Großbritannien. Bevor aber die Kreidefelsen von Dover in Sicht kommen, soll doch noch einige Zeit vergehen. Es ist nämlich eine Zwischenübernachtung in Brüssel vorgesehen, um die Anreise mit unserem Luxusbus noch bequemer zu gestalten. Aber auch die belgische Hauptstadt erscheint aus der Gegend von Frankfurt in unendlicher Ferne. Das GPS zeigt keinen Stau an, der Verkehrsfunk meldet einen solchen erst als wir mitten drin stecken. So kommen wir zum zweifelhaften Vergnügen, uns stundenlang auf der Autobahn die Füße vertreten zu dürfen.
 

 

Mein Plan, noch am Abend vom Hotel zur Grand Place zu spazieren, um die Stimmung auf diesem Prachtplatz, der völlig zurecht von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden ist, bei abendlicher Beleuchtung zu genießen, ist Illusion. So müssen wir den Spaziergang auf den nächsten Morgen verschieben. Aber auch bei Tageslicht zeigt sich dieser Marktplatz in seiner Geschlossenheit und der glücklichen Mischung gotischen und barocken Empfindens als einer der schönsten Plätze der Erde.

 

 

Während für das alte und das neue Wahrzeichen von Brüssel, nämlich das Manneken-Pis und das für die Weltausstellung 1958 errichtete Atomium, keine Zeit verbleibt, kann ich vor unserem Hotel noch die Gruppe im Bild festhalten.

 

 

Aber dann geht es auf schnellstem Wege nach Calais, ist doch der Platz auf dem Fährschiff reserviert. Während der bereits von britischen Beamten etwas langwierig durchgeführten Paßkontrolle können wir schon unser Schiff in dem von Fährschiffen wimmelnden Hafen ausmachen. Unzählige Busse und hunderte Personenkraftfahrzeuge nimmt der gewaltige Bauch unseres Fährschiffes auf.

 

 

Pünktlich legen wir ab – die einzige Seefahrt dieser Reise beginnt. Es bleibt gerade noch Zeit, das Schiff zu erforschen und zu Mittag zu essen, denn nach knapp 1 ½ stündiger Fahrzeit tauchen die berühmten Kreidefelsen von Dover auf. Im Fährhafen dieser Stadt schiffen wir aus.

 

 

Wir müssen unsere Uhren um eine Stunde zurückstellen; für unseren Fahrer Max ist aber eine wesentlich gewaltigere Umstellung angesagt, gilt es doch, ab sofort im Linksverkehr weiterzufahren. Um es gleich vorwegzunehmen: Die folgenden 1591 km bewältigt er souverän und ohne die geringste Unsicherheit, als ob er bis dahin ausschließlich links gefahren wäre. Aber schon nach wenigen Kilometern auf der Autobahn oder einigen Meilen auf dem Highway ein sicherlich seltenes Erlebnis: Ein Jungrind treibt sich auf dem Verkehrsweg herum. Größte Vorsicht ist angesagt!

 

 

Auf dem Weg zu unserem Tagesziel das erste wunderbare kulturelle Erlebnis in England, was nämlich Kathedralen und Abteien betrifft. Wir steuern Winchester, die alte Hauptstadt Englands, an und statten der Kathedrale einen Besuch ab, die sich trotz der unschwer zu erkennenden verschiedenen Baustile als harmonische, aber prunklose Einheit darstellt. Gewaltig das Kirchenschiff mit 17o m Länge.

 

 

Gegen Abend erreichen wir unser Hotel in Romsey, wo wir mit Pimms, einem erfrischenden Mixgetränk, empfangen werden. Hier stoßen auch zwei weitere Gäste, die von der Möglichkeit der Flugreise Gebrauch gemacht haben, zu uns.

 

 

Für den nächsten Reisetag ist ein äußerst abwechslungsreiches Programm vorgesehen, das zusätzlich zum ‚Erlebnis Natur’ viele Jahrtausende Kulturgeschichte umfaßt. Den Anfang macht die Kathedrale von Salisbury mit ihrem 123 m hohen Vierungsturm, der als höchster Kirchturm Englands gilt, und der teilweise noch ummauerten geräumigen Domfreiheit. Für die Photographen, die auch den Kreuzgang stürmen, eine Fülle von Motiven.

 

 

Dann aber das bekannteste Beispiel prähistorischer Kulturen, der riesige Steinzirkel von Stonehenge. Ähnlich wie viele Kirchenbauten ist auch Stonehenge ein Produkt mehrerer Epochen. Wohl von etwa 28oo v.Chr. bis etwa 11oo v.Chr. sind die bis 5o t schweren Sandsteinblöcke und die bis zu 1.5 t schweren Blausteine aufgestellt worden. Über den Zweck der Steinkreise reichen die Ansichten von einem Sonnentempel über ein prähistorisches Grabmal bis zum Observatorium. Auch über den Transport der Steine auf die Hochebene nördlich von Salisbury gehen die Meinungen weit auseinander und reichen bis zur geheimnisumwitterten Tätigkeit Außerirdischer.

 

 

Schon kurz danach ein weiterer Höhepunkt in der Kirchenbaukunst, nämlich die ursprünglich normannische Kathedrale von Exeter, die dann, mit Ausnahme der Türme, in reinstem Decorated Style, also im Stil der englischen Gotik des 14. Jahrhunderts, umgestaltet worden ist. Beeindruckend vor allem die Westfassade und im Inneren der steinerne Lettner, auf dem der Orgelaufbau ruht.

 

 

 

Nach diesem weiteren Einblick in die Geschichte der Baukunst dann wieder Natur, wie sie beeindruckender nicht sein kann. In der lieblichen Landschaft des Dartmoor National Park tummeln sich zwischen Farnen, Flechten, Ginsterbüschen und stoppeligem Gras, unterbrochen durch Zwergeichenheine und Heideflächen, tausende Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen. Immer wieder kreuzen Kaninchen unseren Weg, der an Tümpeln und Rinnsalen vorbeiführt. Mehrere Male halten wir an und genießen die unberührte Landschaft, bewundern aber auch die von Menschenhand geschaffenen Kunstbauten wie etwa die Postbridge.

 

 

Spät abends erst erreichen wir das Tagesziel, nämlich unser Hotel in Redruth, in dem wir drei Nächte verbringen. Zwei volle Tage sind für Ausflüge in Cornwall vorgesehen.

Zeitig am nächsten Morgen brechen wir zur cornischen Küste auf, um vorerst von verschiedenen Standpunkten aus, so auch von einem Friedhof, Blicke auf St. Michael’s Mount zu werfen. Das Gegenstück zum französischen Mont St-Michel bietet sich uns zwar nicht im Sonnenlicht dar, thront aber auch im beinahe düsteren Licht eindrucksvoll in der Bucht vor dem Örtchen Marazion. Nach kurzem Aufenthalt in Penzance – das ägyptische Haus können wir nicht besichtigen – ein Abstecher der Küste entlang nach Mousehole.

 

 

Während der Weiterfahrt beginnt es zu regnen und hört den ganzen Tag nicht mehr auf. Das soll aber unsere Vorhaben in keiner Weise beeinträchtigen. Das Minack Theatre bei Porthcurno steht als nächstes Ziel auf dem Programm, eine grandiose Kulisse für Theaterstücke, die in den Sommermonaten dort aufgeführt werden. In einer versteckten Bucht hat in den Dreißiger Jahren des 2o. Jahrhunderts die Schauspielerin Rowena Cade ihren Klippengarten in ein Amphitheater aus Granitstein verwandeln lassen. Trotz des nunmehr fast strömenden Regens ein unvergeßliches Erlebnis.

 

 

Was wäre ein Aufenthalt in Cornwall ohne den Besuch von Land’s End? Die wilde Einsamkeit und den Blick auf die zerklüfteten, über 5o m hohen Klippen und die weit in den Atlantik ragenden spitzen Granitfelsen können wir aber bei dem anhaltenden Regen nicht so richtig genießen. Es ist eben ein Pflichtaufenthalt an diesem westlichsten Zipfel der britischen Insel.

 

 

Dafür dann ein langer Aufenthalt im Künstlerdorf St. Ives mit seinen engen, gewundenen Gassen und den vielen kleinen Restaurants, die neben Galerien und Geschäften besonders den Hafenbereich beleben. Manch einer besucht die Tate Gallery St. Ives, den ‚Ableger’ der Londoner Tate Gallery, Großbritanniens Nationalmuseum der Moderne.

 

 

Der weitere Tag in Cornwall ist dem gewidmet, was für viele Besucher dieses Landstriches der Inbegriff für diese Grafschaft ist: Gärten.

 

 

Auch wenn das Eden Project eine in einem Abbaukrater bei St. Austell künstlich geschaffene Attraktion ist, so werden doch in beeindruckender Weise Pflanzen aller Klimazonen der Erde dem Besucher nahegebracht Aus der Erde ragen die wabenförmigen Riesenblasen der größten Gewächshäuser der Welt. Für den unvorbereiteten Besucher ein fast futuristisches Erlebnis, in diesen als ‚Biome’ bezeichneten gigantischen Gewächshäusern zu spazieren.

 

 

Der danach besuchte Trebah Garden mit seinen riesigen Bäumen und subtropischen Farnen, der hunderte Meter zu einer Meeresbucht abfällt, stellt das dar, was sich der Normalbesucher unter einem cornischen Garten vorstellt.

 

 

Den Tag beschließt ein kurzer Aufenthalt der am riesigen Delta des Fal gelegenen Stadt Falmouth, die bis Ende des 18. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Häfen in Großbritannien gewesen ist.

 

 

Da der Besuch von Land’s End also praktisch ins Wasser gefallen ist und ich doch den Eindruck einer wilden zerklüfteten Landschaft mit steilen Klippen vermitteln will, steuere ich am nächsten Tag außerhalb der vorgesehenen Route die Bedruthan Steps nördlich von Newquay an. Gigantische Granitblöcke in bizarren Formen ragen aus Sandstrand und Meer empor. Auch wenn Himmel und Meer nicht ‚postkartenblau’ sind, so ist der Eindruck doch grandios.

 

 

Auf der Fahrt nach Norden gebietet dann der kleine Ort Tintagel aus zwei Gründen einen längeren Aufenthalt. Sehenswert ist das bezaubernde Old Post Office, ein unter der Last seines gewellten Schieferdaches gebeugtes Haus aus dem 14. Jahrhundert, in dem einmal das lokale Postamt untergebracht gewesen ist.  

 

 

Aus der Geschichte heraus aber wesentlich bedeutender ist die Burgruine Tintagel Castle, die in grandioser Lage über der schäumenden See thront. Hier soll der Legende nach König Artus groß geworden sein. Daß die Überreste der in das 12. Jahrhundert datierten Burg nicht mit der möglichen Lebenszeit von König Artus übereinstimmen, soll niemanden stören. Maßgebend ist jedenfalls die überwältigend schöne Szenerie.

 

 

Die letzte Station an diesem Reisetag ist dem wohl berühmtesten Fischerdorf Englands gewidmet, nämlich Clovelly. Das ganze Dorf steht unter Denkmalschutz, der Besucher wird wie beim Eintritt in ein Museum abgefertigt und kann nach Entrichten der Eintrittsgebühr auf buckeligen Gassen mit ihrem Kopfsteinpflaster weit über 1oo Höhenmeter hinab bis zum halbmondförmigen Pier im Hafen gehen. Auch wenn das Dorf sehr auf Fremdenverkehr zugeschnitten ist, so beeindrucken doch die winzigen Häuser mit ihrer Blumenpracht und den hohen Schornsteinen. Kraftfahrzeuge gibt es nicht; vom Hafen zum Busparkplatz wird der Besucher mit einem Landrover auf einer außerhalb des Dorfes führenden Straße wieder hochgebracht.

 

 

Die nächste Nacht verbringen wir in Bristol, dieser alten Hafen- und Universitätsstadt. Hätten wir Zeit, wir würden den Hafen aufsuchen und die ‚SS Great Britain’ bewundern, 1843 als erstes ozeantüchtiges Eisenschiff mit Propellerantrieb vom Stapel gelaufen. Heute dient sie als Museumsschiff. Unser erstes Tagesziel ist aber Bath, welche Stadt zu den schönsten in ganz England gehört. Die UNESCO hat die ganze Stadt in ihre Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.

 

 

Bereits die Römer haben die Tradition der Stadt als Kurort begründet. Aus ihrer Zeit stammen die Roman Baths, durch die täglich auch heute noch Unmengen von Wasser fließen. Vom römischen Bad erhebt sich der Blick auf die im Jahre 1616 geweihte Bath Abbey – knapp 15oo Jahre erfaßt das begeisterte Auge mit einem Blick.

 

 

Unendlich viel entdecken wir noch in Bath, etwa den Royal Crescent, eine halbmondförmige Häuserreihe, oder das dichtgefügte Rund des Circus, oder die an den Ponte Vecchio in Florenz erinnernde Pulteney Bridge.

 

 

Tage könnten wir in dieser wunderbaren Stadt verbringen, doch wir müssen weiter. Windsor mit Windsor Castle, der Residenz der königlichen Familie, steht noch auf dem Programm. In der überaus imposanten mittelalterlichen Festung besichtigen wir ua die prachtvollen State Apartments mit erlesenem Mobiliar, kostbaren Gemälden und einmaligen Waffensammlungen. Die St. George’s Chapel etwa zählt zu den perfekten Beispielen englischer Gotik. Von den fast im Minutentakt vom Flughafen Heathrow startenden und über Windsor hinwegdonnernden Flugzeugen lassen wir uns nicht stören.

 

 

In Ashford übernachten wir das letzte Mal auf der Insel, am Morgen vor der Abfahrt nach Folkestone mache ich noch ein letztes Gruppenbild.

 

 

Als vielleicht technischer Höhepunkt der Reise folgt die Fahrt mit dem Zug durch den Eurotunnel. Unser Bus befindet sich in einem abgeschlossenen Zugsegment; wir können herumgehen und ‚die Lage peilen’. Nie kommt vielleicht ein beklemmendes Gefühl auf; wir vertrauen zurecht der Technik. Die 35 Minuten bis Calais vergehen rasend schnell – bei einer Höchstgeschwindigkeit von 16o km/h.

 

 

In Calais dann zwei Umstellungen: Einerseits wieder unser gewohnter Rechtsverkehr, andererseits die mitteleuropäische Zeit.

Quer durch Frankreich fahren wir nach Reims, wo der Besuch einer Champagnerkellerei auf uns wartet. Mit selbststeuernden Wägelchen geht es in die in den Kreidefelsen gehauenen unterirdischen Gänge. Hier gibt es aber eine Panne – ein Fahrzeug unserer Kolonne bleibt in einer Kurve stecken, also aussteigen und dann noch einmal starten. Beim zweiten Versuch klappt alles, wir werden am Ende der Fahrt mit einem Glas Champagner belohnt – nur unser Fahrer Max bleibt ‚trocken’.

 

 

Als Höhepunkt des Reims-Besuches schließlich noch ein längerer Aufenthalt in der gotischen Kathedrale Notre-Dame. Ein wunderbares Erlebnis zum Abschluß.

 

 

Am neunten und letzten Reisetag geht es zurück in die Heimat, wobei bis in die Gegend von Stuttgart die Fahrt plangemäß verläuft. Dann aber wieder ein Stau, aber nicht so gewaltig wie am Anreisetag. Letztendlich treffen wir aber doch zu akzeptablen Zeiten in den Ausgangsorten ein, voll mit Erinnerungen an interessante Städte und naturbelassene Landschaften, an Kathedralen und Abteien, an Ruinen und Schlösser, an eine wunderbare Pflanzenwelt sowie an den Sonnenuntergang am Hafen nahe unserem Hotel in Reims.