Unvergeßliche Tage in unseren östlichen Bundesländern
oder
Religion, Kultur, Wirtschaft und Militärwesen vor 2000 Jahren
 
 

Selten habe ich schon über den Titel eines Reiseberichtes so nachdenken müssen wie bei dieser Reise. Passionsspiele – Operette – Carnuntum: Diese drei Schlagworte treffen zwar den Kern, sagen über das Gesamterlebnis aber wohl zuwenig aus.

Vielleicht ist es besser, wenn ich trotz der einmaligen Erlebnisse völlig sachlich und emotionslos beginne. Mit Gästen aus Tirol und Salzburg reise ich in unser jüngstes Bundesland, wo wir in einem feinen Hotel in Mörbisch Quartier beziehen. Der Ablauf des Anreisetages ist so gewählt, daß wir nach Erholungspause bereits zur Nachmittagsaufführung der Passionsspiele in St. Margarethen aufbrechen können. Im Römersteinbruch, der ja schon seit 1961, also lange vor seiner ‚Entdeckung’ für Opernaufführungen, den Passionsspielen eine würdige Heimstätte gewesen ist, dann gespannte Erwartung der etwa 5ooo Besucher. Für viele völlig neu: Eine auf lediglich drei Stunden angesetzte Aufführung mit Beginn bei hellstem Sonnenschein.
 



Daß das gesprochene Wort auf den Texten, wie wir sie aus der Heiligen Schrift kennen, gefußt hat, ist als selbstverständlich erwartet worden. Wie würde es sich aber etwa mit Aussehen der Darsteller, mit Kleidung, mit Gerätschaften, mit Waffen verhalten? Würde vielleicht Jesus Christus am Palmsonntag statt auf einem Esel einzureiten mit dem Fahrrad hereinfahren? Würden Landschaft und Bauwerke des Heiligen Landes etwa in eine Ölraffinerie, einen Bahnhof oder einen Golfplatz verwandelt sein?

Sollte irgendjemand noch zu Beginn der Aufführung die geringste Sorge hinsichtlich einer Abweichung vom Althergebrachten und Bewährten gehabt haben, so wird er sofort in die Zeit vor 2ooo Jahren zurückversetzt, wobei alles, aber auch gar alles, stimmt. Vom Bart bis zur Sandale, vom Brunnen bis zum Esel. Und rundherum die riesengroße Naturbühne mit den steil aufragenden Wänden. Ein von Herzen kommendes Vergelt’s Gott der Spielleitung und allen in irgendeiner Form Beteiligten, die es aus einem ganz natürlichen und leicht nachvollziehbaren Gefühl heraus ablehnen, mit Gewalt ‚modern’ sein zu müssen.
 


 

Die Aufführung zu schildern würde zu weit führen. Während die Zuschauer ergriffen dem Geschehen lauschen, wandert die Sonne; von den rückwärtigen Sitzen aus, wo alles am besten überblickt werden kann, kann beobachtet werden, wie jeweils gleich nach Einfall des Schattens die Zuschauer der Reihe nach die zuvor abgelegte Kleidung wieder anziehen.

Schauspielerisch und von der Sprachkultur her wird Bestes geboten; wenn da noch einer herausragt, dann ist es der Christus-Darsteller mit seinen oftmals langen Monologen. Am Ende der Aufführung versammeln sich schließlich die Mitwirkenden – ich habe sie nicht gezählt, es müssen hunderte sein – ganz vorne an der Bühne und stimmen an: „Großer Gott, wir loben Dich“. Wie auf unhörbaren Befehl erheben sich gleichzeitig alle Zuschauer und stimmen ein „Herr, wir preisen Deine Stärke...“. Selten habe ich einen derart begeistert mitsingenden vieltausendstimmigen Chor gehört wie diesen! Ein ergreifendes Erlebnis, das noch lange nachgewirkt hat. Was mich persönlich gestört hat, daß eine Minderheit an Zuschauern nach zu Herzen gehender Aufführung und ergreifendem Chor am Ende noch geklatscht hat; sie ist allerdings gleich wieder verstummt.

 

 

Anders als bei musikalischen Aufführungen, wo es am Rückweg ins Hotel im Bus noch laut her geht, herrscht immer noch tiefes, fast andachtsvolles Schweigen. Wir sind noch alle im Banne des Erlebten.

Aber noch ist der Tag nicht um. Wir müssen ja noch zu Abend essen. Die Hotelküche ist auf unsere späte Rückkehr vorbereitet, sodaß es keine Schwierigkeiten gibt.

Am zweiten Reisetag ist vorerst Ausschlafen angesagt. Dann aber teilt sich die Gruppe. Einige Gäste genießen den Aufenthalt im Hotel mit seinen Freizeiteinrichtungen, ein paar Gäste leihen sich im Hotel Fahrräder aus und radeln – vorsorglich haben sie Reisepässe mitgenommen – über die nahe ungarische Grenze. Für den größeren Teil der Gruppe organisiere ich einen bis in den Nachmittag reichenden Ausflug, der uns zuerst mit dem Schiff durch die für den Neusiedler See so typischen Schilffelder und dann durch offenes Wasser bis zu der Mörbisch gegenüber liegenden Anlegestelle bringt. Die geruhsame Schiffahrt stellt so richtig eine Erholung dar; wir genießen.
 

 

Aber schon wartet die Fortsetzung im Reigen der Erlebnisse. Herunter vom Schiff und hinein in die Kutsche – aber ohne Hektik und Eile, wir sind ja nicht auf der Flucht. Und immer wieder bleibt der Kutscher stehen, wenn es gilt, Wasservögel zu beobachten oder seltene Pflanzen zu entdecken. Gespannt lauschen wir seinen Erklärungen über den Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel.

Gut eine Stunde sind wir bis Illmitz unterwegs, auch eine längere Fahrt hätten wir gerne in Kauf genommen. Doch da meldet sich der Hunger. Ich kann abhelfen, in einem mir von früheren Reisen bekannten ländlichen Lokal fallen wir ein. Verschiedene feine Platten werden aufgetischt, dazu gibt es heimischen Roten oder auch Traubensaft. Die Stimmung steigt, ist aber nicht ausgelassen.
 


 

Auf teilweise bekannter Strecke, aber mit einem anderen Kutscher, der das zu Sehende wieder anders umschreibt, geht es mit mehreren Unterbrechungen zurück an den See, wo wir das Fährschiff gemeinsam mit vielen, vielen Radfahrern teilen. Schnell erreichen wir den Hafen von Mörbisch. Den ganzen Tag vom Wetter begünstigt, läßt uns strahlender Sonnenschein auch diese Schiffahrt genießen. Aber da ziehen plötzlich drohende Wolken auf, der Abend wird doch nicht Regen bringen? Das wäre wirklich schade.

Aber vorerst ist noch eine Erholung im Hotel angesagt, dann das Abendessen zu gewohnter Zeit. Schließlich besuchen wir ja eine Abendvorstellung auf der direkt am Wasser gelegenen Freilichtanlage von Mörbisch. Auch wenn wir die Ortschaft gar nicht verlassen, so bringt uns doch unser Fahrer möglichst nahe zur Aufführungsstätte und wartet dann geduldig auf uns.



 

Noch mehr Besucher als in St. Margarethen, auch die Umgebung ist ganz anders. Während St. Margarethen durch die Naturbühne des Römersteinbruchs gekennzeichnet ist, blickt der Zuschauer in Mörbisch auf die am Seeufer aufgebaute Bühne und über diese hinweg auf den See. Eine großartig ausgedachte Anlage, wobei unsere Stimmung noch durch den wieder klaren Himmel, von dem sogar der Mond lugt, wieder am Gipfelpunkt ist.
 

 

Dann der „Graf von Luxemburg“ in einer Aufführung, wie wir sie vom Intendanten Professor Harald Serafin gewohnt sind. Bühnenbild und Aufbauten der Umgebung angepaßt, die Kostüme so, wie es sich wohl schon Franz Lehár vorgestellt hat. Warum gelingt es fast nur im Burgenland so gut, den Willen des Komponisten zu beachten und nicht mit Gewalt ‚modern’ sein zu wollen?  Ist das das Geheimnis des Erfolges?

Manch ein bekannter Ohrwurm, wie Lieber Freund, man greift nicht nach den Sternen oder Mädel klein, Mädel fein klingt zur Zuschauertribüne herüber, der Gesamteindruck ist einfach „Mörbisch“. Und am Schluß geht der Beifall in das schon zum festen Bestandteil jeder Aufführung gehörende Feuerwerk über.

 


 

Und wieder können wir ausschlafen, müssen wir doch erst um 1o Uhr, zu welcher Zeit das Museum in Carnuntum öffnet, an diesem für unsere Heimatgeschichte so bedeutsamen Ort sein. Auf dem Weg dorthin noch liebliche Landschaft und als „gleichsam musikalisches Erlebnis“ Rohrau, der Geburtsort von Josef Haydn.



In Carnuntum empfängt uns eine charmante Führerin, die uns zuerst das Freigelände nahe bringt, auf dem auch originalgetreu aufgebaute Häuser, wie sie vor annähernd 2ooo Jahren errichtet worden sind, stehen. Und dann im Museum Carnuntinum einerseits der „Gang durch die Geschichte“, andererseits aber die Sonderausstellung „Vom Legionslager zur Donaumetropole“. Anhand der Ausstellungsstücke wird uns wieder in Erinnerung gerufen, daß Carnuntum, wo sich etliche römische Kaiser gerne aufgehalten haben, von enormer strategischer und wirtschaftlicher Bedeutung gewesen ist und daß sich daher hier die größte Fundstätte aus der Römerzeit von ganz Mitteleuropa befindet.



Lange hätten wir noch im Museum Carnuntinum in der Geschichte wühlen können, doch wir haben ja noch einen langen Heimweg zu bewältigen. Wie auf dem Weg ins Burgenland auch auf dem Rückweg ein vorzügliches Mittagessen im Autobahnrasthaus St. Pölten, wo ich Gelegenheit habe, das Gruppenbild zu schießen.


 

Noch eine Kaffeepause am weiteren Heimweg; mit gegenüber dem Zeitplan nur geringer Verspätung erreichen wird die Ausgangspunkte der Reise, die in so kurzer Zeit so viele Eindrücke verschafft hat und auf der – irgendwie doch gemütlich – ein ganz erhebliches Programm bewältigt worden ist.
 

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Der Termin meiner Burgenlandreise 2oo7 steht bereits fest: 9. bis 11. August. In Mörbisch steht „Wiener Blut“ von Johann Strauß auf dem Programm und in St. Margarethen „Nabucco“ von Giuseppe Verdi. Auf der Rückreise nach Salzburg und Tirol werde ich meinen Gästen einen schon öfters geäußerten Wunsch erfüllen können: Mit der Besichtigung eines der Marchfeldschlösser ergibt sich die Gelegenheit, wieder tief in Geschichte und Kultur unserer Heimat einzudringen. Freuen wir uns also auf diese hochsommerliche Drei-Tage-Fahrt, die wieder viele meiner Stammgäste vereinen wird.