Unterwegs im langsamsten Schnellzug der Welt |
Wenn ich auch die Reise schlicht und einfach ‚Glacier Express’ genannt gehabt habe, so haben die Erlebnisse vom 22. bis 25. Juni 2oo6 doch wesentlich mehr umfaßt als nur die Fahrt im ‚langsamsten Schnellzug der Welt’ von Brig nach St. Moritz. Die Kurzbesichtigung von Luzern, vor allem der Ausflug auf den Gornergrat von Zermatt aus, der Aufenthalt in Saas Fee und die Fahrt durch den Schweizerischen Nationalpark sind unvergeßliche Erlebnisse gewesen. Doch der Reihe nach. Die Fahrt nach Naters, dem
durch die Rotten getrennten Nachbarort von Brig, wo sich unser Hotel
befindet, unterbreche ich gerne, um mit meinen Gästen aus Österreich
und Bayern einen kurzen Rundgang durch die von mir so geliebte Stadt
Luzern zu unternehmen. Natürlich bummeln wir über die zwei
bekanntesten Brücken, nämlich die Kapellbrücke und die Spreuerbrücke,
werfen einen Blick in die frühbarocke Jesuitenkirche und wenden uns
dann der Altstadt zu mit ihren malerischen Straßen und den vielen
Brunnen.
So interessant die Stadt am Westende des Vierwaldstätter Sees auch ist, wir müssen weiter, wobei sich durch die infolge von Felsstürzen gesperrte Gotthard-Autobahn zwangsläufig eine zwar mit längerer Fahrzeit aber landschaftlich nicht minder schöne Ausweichstrecke über den Brünigpaß und den Grimsel-Paß anbietet. Der Anstieg zum Grimsel-Paß auf eine Höhe von 2165 m ist von Regen und Nebel begleitet, doch auf der Paßhöhe empfängt uns Sonnenschein, der uns dann im Goms, wie der oberste Abschnitt des Rottentals heißt, begleitet.
Am nächsten Morgen ist
nach dem doch langen Anreisetag Ausschlafen angesagt, ist doch die
Strecke bis Täsch im Mattertal relativ kurz. Und es bleibt genügend
Zeit, alle für den zweiten Reisetag geplanten Vorhaben gemütlich zu
verwirklichen. Von Täsch bis Zermatt mit dem Pendelzug, wobei wir
einen Vorgeschmack auf den für Bergstrecken unerläßlichen
Zahnstangenbetrieb erhalten. Dann bis zur Abfahrt der Zahnradbahn
auf den Gornergrat ein Spaziergang durch Zermatt, über welchem Ort
sich ein wolkenloser blauer Himmel spannt. Werden wir das seltene
Glück haben und während der Fahrt auf den Gornergrat und vor allem
von dort den ‚Berg der Berge’ ganz wolkenfrei sehen zu können?
Das Wetter meint es gut mit
uns – selten ist die Sicht so ungetrübt wie an diesem herrlichen
Frühsommertag. Die analogen und digitalen Kameras werden gezückt,
Bilder von unglaublicher Schönheit werden eingefangen. Und das geht
dann auf dem Gornergrat so weiter. Der Panoramablick ist
überwältigend – schöner hätte das ‚Erlebnis Schweizer
Hochgebirgswelt’ auch in den kühnsten Träumen nicht ausgemalt werden
können.
Im Zermatt Tourismus, dem Zermatter Informationsbüro, werden meine begeisterten Gäste noch mit Broschüren versorgt – die Erinnerung an diesen einmalig schönen Ausflug lebt also auch in der Literatur fort und nicht nur in den unzähligen photographischen Aufnahmen. Mit dem Pendelzug zurück nach Täsch und sodann auf zu einem weiteren Erlebnis, nämlich zum Besuch von Saas Fee. Auch wenn dieser Ort hinsichtlich der Besucherzahl wohl hinter Zermatt zurückliegt, seine Lage und der Ausblick auf schnee- und eisbedeckte Viertausender mit ihren Gletschern und Gletscherzungen lassen verstehen, weshalb dieser Ort im Saas-Tal vor gut einhundert Jahren als ‚Perle der Alpen’ gerühmt worden ist.
Voller Erwartung
spazieren wir durch den Ort, doch schon gleich nach dem Parkplatz
fallen unsere Blicke auf die auf steinerne Stützen gebauten Stadel
und Speicher so als ob sie allen Besuchern zeigen wollten, daß Saas
Fee doch nicht von überwiegend ‚modernen’ Bauten beherrscht wird.
Die Bedeutung der steinernen Stützen ist uns klar: Ungebetenen
Nagetieren soll der Zugang ins Innere der Gebäude verwehrt werden.
Nach dem Abendessen gelingt
der Leitung unseres Hotels eine Überraschung der Gäste in Form einer
Bummelzugfahrt. Mit dem ‚Kleinen Simplon-Express’, wie sich der Zug
nennt, geht es durch Naters, sodann über die Rotten und kreuz und
quer durch Brig. ‚Winken, winken’ rufen wir Fahrgäste – und alle
winken uns zu, Kleinkind oder Nonne, Liebespaar oder gesetzter
älterer Herr, Dame oder Kaffeehausbesucher; sogar die Hunde wedeln
mit den Schwänzen. Auch das ist ein Erlebnis, aus der Situation
geboren, das noch lange die Gespräche beherrscht hat.
Für den frühen Vormittag
des dritten Reisetages vereinbare ich eine Führung durch den
Stockalper-Palast. Eine sympathische Dame erzählt uns mit launigen
Worten aus der Geschichte der in den Adelsstand erhobenen Familie
Stockalper. Vergleiche mit den Fuggern und Welsern in Augsburg tun
sich auf. Doch dann auf zum Bahnhof, der Glacier Express ruft.
Schnell sind im Panoramawagen die für uns reservierten Plätze eingenommen und pünktlich fährt der Zug, der bereits aus Zermatt gekommen ist, ab. Wir stellen fest: Bequeme Sitze mit Tischchen, auf denen die Speisen und Getränke serviert werden, sowie Informationen über Kopfhörer. Während frühere Zugsgarnituren einen Speisewagen geführt haben, für den Reservierungen notwendig gewesen sind, wird nunmehr in der Mitte des Zuges ein Servicewagen mitgeführt, in dem die Speisen, die zu den Sitzplätzen gebracht werden, frisch zubereitet werden. Und während der ganzen Fahrt die herrliche Aussicht durch die Panoramascheiben des ganz neuen Wagens. Wir fühlen uns nicht nur wohl, wir fühlen uns vielmehr sehr, sehr wohl.
Das Rottental aufwärts
geht es bis Oberwald, um nach der Fahrt durch den längsten
Schmalspurtunnel der Welt bei Realp wieder ‚oberirdisch’ - fast
hätte ich ‚überirdisch’ geschrieben - weiterzufahren. Nun ist es bis
Andermatt, wo eine japanische Gruppe aussteigt, nicht mehr weit.
Jetzt hätte zwar jeder von uns die Möglichkeit, einen Fensterplatz
einzunehmen, doch ist dies aufgrund der großen Panoramafenster gar
nicht notwendig. Nach kilometerlanger Fahrt - wegen der großen
Steigung im Zahnstangenbetrieb – erreicht der Zug den Oberalpsee und
dann mit dem Oberalppaß in 2o33 m Höhe den höchsten Punkt der
gesamten Strecke. Wieder ist Zahnstangenbetrieb erforderlich,
allerdings geht es nunmehr steil bergab, wobei die Bahntrasse mehr
oder weniger dem Vorderrhein folgt. Doch da taucht linker Hand im
Dorf Disentis (rätoromanisch Mustér) die Benediktinerabtei St.
Martin auf, deren Klosterkirche zu den schönsten Barockkirchen der
Eidgenossenschaft zählt.
Weiter geht die Fahrt, wobei die Rheinschlucht zwischen Ilanz und Reichenau zu den beeindruckendsten landschaftlichen Erlebnissen zählt. In Chur, der Hauptstadt des Kantons Graubünden, erreichen wir den tiefsten Punkt der Bahnreise; die Lok wird an das bisherige Zugende gekoppelt und zurück geht es auf bekannter Strecke bis Reichenau, wo Hinterrhein und Vorderrhein zusammenfließen. Hoch über dem Tal des Hinterrheins führt die Trasse mit teilweise beklemmenden Ausblicken in die Schlucht bis Thusis, um in das Albulatal überzuwechseln.
Vor Filisur dann der
Landwasserviadukt, das Wahrzeichen für den Glacier Express, auf den
wir vom Bordpersonal und über Lautsprecher ausdrücklich aufmerksam
gemacht werden. Infolge der scharfen Kurve vor der Einfahrt in den
Tunnel kann das beeindruckende Bauwerk gar nicht in seinem gesamten
Ausmaß zur Geltung kommen. Da muß ich wohl einmal mit dem PKW nach
Filisur fahren und eine Zugsgarnitur auf dem Viadukt
photographieren.
Wieder folgen Zahnradstrecken, wobei der Höhengewinn im weiteren Verlauf des Albulatals nur in der Weise erfolgen kann, daß die Strecke über drei Tunnel-Kehren führt. Schließlich noch einmal ein Tunnel, nämlich der Albulatunnel. Ab Spinas aber wieder freie Sicht, wobei es etwa ab Samedan das Inntal aufwärts geht. Pünktlich erreicht der Zug St. Moritz, wo - wie erwartet - unser Fahrer bereits auf dem Bahnhofsplatz wartet. Ein vorzügliches Abendessen im Hotel beschließt den erlebnisreichen aber infolge der Bahnfahrt doch sehr gemütlichen Tag.
Nach nächtlichem Regen
spannt sich am letzten Morgen ein blauer Himmel über dem
Ober-Engadin, innabwärts bis Zernez, um in der unberührten
Naturlandschaft des Schweizerischen Nationalparks weiterzufahren. Am
2149 m hohen Ofenpaß ein Halt, nicht nur der Landschaft wegen
sondern auch zum Bewundern der ‚Giganten der Landstraße’, die an
einem Drei-Länder-Radrennen teilnehmen.
In Münster kann ich mit dem Turm der Klosterkirche im Hintergrund das obligate Gruppenbild schießen, wegen der Messe können wir allerdings die Fresken in der Klosterkirche nicht bewundern. Vor der Klosteranlage treffen zwei Welten aufeinander: Die Radrennfahrer passieren die Herz-Jesu-Prozession.
Bald schon erreichen wir Südtirol, wo in Graun das bekannte ‚Kirchturmmotiv’ einen weiteren Halt gebietet. Zu den Ausgangspunkten der Reise ist es nun nicht mehr sooo weit, im Bus sehe ich nur glückliche Gesichter. Die Erlebnisse der abwechslungsreichen vier Tage werden noch einmal besprochen. Einig sind wir uns alle: Es ist wieder eine schöne Reise in die Eidgenossenschaft gewesen. |